Kulenkampffs-Schuhe

26. Juni 2019

Nachdem „Kulenkampffs Schuhe“ im August 2018 in der ARD ausgestrahlt wurde, erhielt ich unglaublich viele Zuschauerreaktionen. Und die Reaktionen haben nicht aufgehört. Nach jeder Wiederholung erreichen mich berührende und erschütternde Zuschriften. Der Krieg und seine Traumata scheinen immer noch sehr präsent zu sein. Ein Zuschauer (Jg. 1953) schrieb, er hätte als 10jähriger eine Pistole auf einem Trümmergrundstück gefunden, sein Vater habe sie gleich konfisziert (zu gefährlich), diese dann heimlich als Tränengaspistole umgebaut und eines Tages damit auf den Fernseher gezielt, um den die Familie versammelt war. Weil er die Samstag-Abend-Shows hasste.  „Und ich dachte, das sei normal. Väter sind so ...“,schreibt der Zuschauer.

 

Ich bekam nicht nur Zuschriften von „Soldaten-Kindern“, sondern auch Zuschriften von Kindern von Holocaust-Überlebenden. Einer (Jahrgang 1950), der mittlerweile in Israel lebt, schrieb mir:

„Ich bin genau in dieser Fernseh-Welt groß geworden. Ich hatte natürlich keine Ahnung von der Kriegsgeschichte dieser Showmaster und meine Eltern erzählten nichts. Ob sie davon wussten, weiß ich nicht, doch ich gehe davon aus, dass sie das auch nicht wissen wollten, denn sie hatten sich entschlossen, in diesem Deutschland zu leben ... Mir wurde erst in den späten 70er Jahren klar, in welchem Deutschland ich aufgewachsen bin. Ein Deutschland, über dem die Schatten des 1000jährigen Reiches lagen ...“

 

Und was ich immer wieder las, war der Satz „Dieser Film sollte im Geschichtsunterricht gezeigt werden.“ Aber nur ein Lehrer lud mich tatsächlich ein, den Film in der Schule zu zeigen: Volker Pöhlmann vom Gymnasium Marquartstein.

Ich war neugierig, wie junge Leute diesen Film aufnehmen. Die Reaktionen der Älteren, vor allem meiner Generation, kannte ich ja.

Darum war ich ein sehr besonderes Erlebnis, mir den Film zusammen mit den „Q11ern“  anzuschauen. Und es kamen mir währenddessen Gedanken, die ich vorher bei Vorführungen nicht hatte Zum Beispiel der, dass die 17jährigen Schüler in genau dem Alter waren, in dem mein Vater sich, wie die meisten seiner Generation, freiwillig als Soldat meldete. Oder, dass diese Oberstufenjahrgänge einmal die Generation sein wird, die den letzten persönlichen engen Kontakt zu Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs, der NS-Zeit und des Holocaust hatte. Eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe wird ihnen zufallen: ihre Erinnerungen an die Zeitzeugen weiterzugeben.

 

Sehr berührt war ich, mit welcher Konzentration und Aufmerksamkeit der Film geschaut wurde, mit welcher Ernsthaftigkeit und Klugheit nach der Vorführung Fragen gestellt wurden.

Überrascht war ich, dass „Kulenkampffs Schuhe“ anscheinend gar nicht so weit weg von der Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler ist. Ich dachte vorher, es sei für sie eine Reise zum Mond, so fremd kommen mir heute selbst die Fernseharchivbilder der 50er und 60er Jahre vor.

Für mich war die Arbeit an dem Film eine Reise in die Kindheit, zu allem Unausgesprochenen, zu den ungelösten Konflikten der Eltern, die ich als Kind aufsaugte wie ein Schwamm. Ich wollte mir und meiner Generation (die ich im weitesten Sinne als die zwischen 1950 und 1970 Geborenen definieren würde), ein bisschen Licht in das Dunkel, den Nebel, das Wabern, das Diffuse dieser Kindertage bringen.

Nach meinen Erfahrungen mit den bayrischen Schülerinnen und Schülern scheint mir, dass die Jungen auch ein wenig mehr verstehen von dieser seltsamen Nachkriegszeit, die ja auch noch irgendwie in ihnen herumspukt. („Und ich dachte, Väter sind so ...“)

Ich danke Volker Pöhlmann ganz herzlich für die Einladung und allen Schülerinnen und Schülern für ihre Aufmerksamkeit.

 

Regina Schilling